Es war nicht mein Tag…
Heute hatte ich das Haus verkauft. Dort in Raukfurth war ich die letzten Jahre zu Hause gewesen. Und jetzt hatte ich es verkauft – weit unter Wert. Wie unverschämt der Händler gewesen war; allein dafür hätte ich ihn schon verfluchen sollen. Doch stattdessen ging ich achselzuckend darüber hinweg. Jetzt hatte ich es mir bequem gemacht, ein kleines Lager an einem Bach, das Feuer flackerte gemütlich. Ich schaute in die Flammen, meine Gedanken wanderten zurück – wie so oft in letzter Zeit.
Als sich meine Begabung das erste Mal gezeigt hatte – da waren meine Eltern erleichtert gewesen. Und freuten sich auch für mich. Meine Eltern kannten nur eine Zauberin: Neeska. Und sie war beliebt, wie die meisten von uns – damals jedenfalls. Doch jetzt saß ich hier am Feuer. Kora wartet auf mich, eine der wenigen treuen Seelen unter den Menschen. Die meisten fürchten uns in diesen Tagen. Früher war das anders, da waren wir nicht nur hoch angesehen, sondern auch beim einfachen Volk beliebt. Was ein Krieg nicht alles ändern kann. Krieg nimmt einem Freunde, Mitschwestern und vielen Menschen auch den Respekt.
In diesem Krieg hatten Zauberer auf beiden Seiten gekämpft – und es waren viele gestorben. Der Respekt der Menschen war an vielen Orten Hass gewichen. Vergessen, was wir ihnen Gutes getan hatten – jetzt erinnerten sie sich hauptsächlich an die Gräuel. Auch wenn diese nicht von meinem Konvent, sondern von unserem gemeinsamen Feind verübt wurden. Es waren ebenfalls Zauberer und Zauberinnen gewesen, nur das zählte für die Menschen hier. Und wir Zauberinnen wurden seitdem oft einfach nur noch Hexen genannt. Früher wurde dieses Wort nur für Schwarzkünstlerinnen verwendet… Doch was soll’s, auf dem Hof wartete Kora. Dort waren wir allein, die Blicke der Menschen würden uns nicht mehr verfolgen. Ich seufzte, blickte kurz zu den Pferden. Es war warm, ein angenehmer Juliabend. Und mein Lager war gesichert, Neeskas Tipps beherzigte ich immer noch: Jedes Lager schützte ich mit einem Kreis. Ich seufzte, legte mich zur Ruhe.
Mitten in der Nacht wurde ich wach. Für einen Moment musste ich überlegen, wo ich war, doch der Alarm schrillte in meinem Kopf: Es näherte sich jemand. Ich bewegte mich nicht, zumindest nicht sichtbar. Meine Ohren gespitzt hörte ich in einiger Entfernung am Rande des Kreises Schritte. Eine einzelne Person schlich herum, oder versuchte es zumindest. Neben mir, noch halb unter der Decke, lag mein kleiner Beutel. Ich zog vorsichtig einen kleinen Handspiegel hinaus, bewegte mich möglichst wenig, stellte mich schlafend. Meine Finger formten unter der Decke einen Zauber. So konnte ich im Spiegel sehen, was hinter mir passierte. Ein einzelner Mann beobachtete mein Lager, zerlumpt und dreckig war er.
Ich wartete ab, vielleicht kam er doch nicht auf dumme Ideen. Aber es sah nicht so aus: Er schlich zu den Pferden. Und dann ging er zum Sattel, wieder formten meine Finger einen Spruch, ich wartete nur noch auf den richtigen Moment. Als er den Sattel leise aufhob und er sich zu den Pferden umdrehte war der Zeitpunkt gekommen: Ich warf den Spruch auf ihn: Schmerz in seinen Körper, Feuer bis hinab in sein Mark. Kein Mensch, der diesen Schmerz das erste Mal spürt, bleibt stehen. Ein Schrei, er stürzte und ich hatte alle Zeit der Welt zum Aufstehen. Ich ordnete kurz meine Kleidung, nahm meine Reitgerte und ließ dann seinen Schmerz abklingen. Er drehte sich um, langsam, das Feuer brannte in seinem Körper und verlangsamte ihn. „Wie kann ein Mensch so dumm sein, mich anzugreifen…“ dachte ich mir und grinste.
Als er sich ganz umgedreht hatte, ließ ich den Schmerz für einen Moment wieder etwas stärker werden. Er sollte nicht noch einmal auf dumme Ideen kommen. Das schien seine Wirkung nicht zu verfehlen, er ging auf die Knie und bettelte um sein Leben. Ich lächelte immer noch. Dieses undurchdringliche Lächeln, von dem ich wusste, das es auch einschüchternd wirkte. Als ich näher kam, schwieg er endlich. Er roch etwas unangenehm, nach alter ungewaschener dreckiger Haut. Ich ignorierte es so gut es ging.
Ich ließ ihn aufstehen, und brachte ihn etwas näher zum Feuer. Mit meiner Gerte zeichnete ich einen Kreis um ihn. Diesen konnte er nicht verlassen: Wenn er sich dem Rand näherte, wurde es wieder schmerzhaft für ihn. Kaum war der Kreis fertig, ließ ich seine Schmerzen ganz vergehen, während ich zu meiner Decke zurückging. Ich warf ihm noch einen Blick zu: „Ich will nicht noch einmal in meiner Nachtruhe gestört werden.“
Ich ärgerte mich, jetzt musste ich wieder zurück in die Stadt. Das wollte ich eigentlich nicht. Aber dieser Dieb sollte einem Richter vorgeführt werden. Er würde seine Strafe erhalten. Still und ruhig lag ich da, hinter mir hörte ich den Dieb schwer atmen. Ein Blick in den Spiegel zeigte mir: Er testete die Grenzen des Kreises um ihn herum. Aber rasch merkte er, dass es kein Entkommen gab. Ich grübelte nach, was ich am besten tun sollte. Eigentlich hatte ich keine Lust ihn in die Stadt zu bringen. Bestrafen konnte ich ihn schließlich auch allein. Zu einer Rückerstattung – einer Geldbuße – würde er wohl nicht in der Lage sein. Also blieben nur Körperstrafen und Schuldknechtschaft. Aber wenn er tatsächlich das Pferd stehlen wollte: So ein großer Diebstahl wurde fast immer mit dem Tod bestraft. Nun denn, die Entscheidung hatte noch Zeit. Ich würde ihm einfach die Wahl überlassen. Aber Kora könnte wirklich Hilfe auf dem Hof brauchen…
Am nächsten Morgen ging ich zum nahen Bach und wusch mich. Ich vermisste mein Bad, hatte aber keine Wahl. So aß ich in aller Ruhe etwas, betrachtete dabei meinen Gefangenen. Er schlief unruhig, zusammengekauert, selbst im Schlaf hatte er seinen Kopf unter seinem Arm versteckt. Als ich mit dem Frühstück fertig war, stand ich auf. Ich ging zu den Pferden, brachte sie zum Bach, um sie zu tränken. Ich war gerade zurück gekommen und hatte sie wieder festgemacht, als er wach wurde. Meine Reitgerte lag hier beim Sattel, ich griff danach und ging dann zu ihm hin, baute mich direkt vor ihm auf. Er blieb zusammen gekauert auf dem Boden hocken. Er sah mager aus, nicht wirklich gesund.
Leise sprach ich ihn an. Ich wollte, dass er aufmerksam zuhörte und leise sein half erstaunlicherweise oft besser als die Stimme zu erheben. „Weißt du wer ich bin?“ Er schüttelte den Kopf, blickte starr zu Boden. „Aber du weißt was ich bin..?“ Er zögerte, antwortete dann endlich „Eine Hexe…“ Ich hasste dieses Wort, hasste was es ausdrückte. ‚Mich einfach Hexe zu nennen, wie kann er es wagen‘ dachte ich. Mit einer Bewegung meiner Finger jagte ich wieder den Schmerz durch seinen Körper, kurz und heftig. „Ich bevorzuge den Ausdruck Zauberin.“ Dann ließ ich den Schmerz wieder etwas weniger werden, während er bettelte. Ich ließ ihn aufstehen.
So wie er aussah, war ich mir nicht sicher, ob er gesund war. Und es gibt sogar Krankheiten, die ich nicht so leicht heilen konnte. Daher wollte ich mich vergewissern, wollte ihn zumindest äußerlich inspizieren. Und zusätzlich hatte er mich gereizt. Also konnte ich diese Gelegenheit, ihn zu demütigen, kaum verstreichen lassen. „Zieh dich aus. Ich will sehen, was da so dumm ist, mich zu bestehlen.“ Zögernd zog er seine Lumpen aus, sehr zögernd. Erst als ich den Schmerz ganz allmählich wieder in seinen Körper zurückkehren ließ, gehorchte er endlich ganz.
So stand er mit gesenkten Kopf vor mir, seine zitternden Hände bedeckten sein Gemächt. Ich nahm an, dass er nicht nur den Sattel hatte stehlen wollen. Er sah nicht so aus, als hätte er Verwendung dafür. „Du wolltest also mein Pferd stehlen.“ Ich nahm meine Gerte, berührte ihn damit an der Schulter. „Eigentlich sollte ich dich ja in die Stadt bringen, die würden dort schon wissen, was mit so etwas wie dir zu tun ist.“ Ich ging um ihn herum. Er hatte bestimmt schon bessere Zeiten gesehen. Davon erzählten noch seine breiten Schultern, aber jetzt war er abgemagert. Er hatte schon einige graue Haare auf dem Kopf, aber ich vermutete, dass er nicht so alt war, wie er aussah, vielleicht Mitte dreißig. Der Krieg und der folgende Hunger hatten vielen Menschen Falten ins Gesicht gemeißelt. Unrasiert war er, das war fast schon ein ungepflegter Bart; dazu dunkle Haare auf Brust und Rücken. Das fand ich schon immer abstoßend. Aber keine Anzeichen einer Krankheit, beruhigend. Er roch auch nur ungewaschen, nicht nach Krankheit. Immer noch unangenehm genug, dieses leicht säuerliche, dass einem fast dem Atem nehmen kann…
Ich bemerkte aber die Brandzeichen an seinen Händen, berührte sie, ebenfalls mit der Gerte. „Nicht dein erster Diebstahl, wie ich sehe.“ Er schwieg, nur das Zittern wurde stärker. „Zur Stadt wäre allerdings ein ziemlicher Umweg. Also könnte ich das womöglich auch selbst erledigen… Was meinst du, was eine angemessene Strafe wäre?“ Er ging in die Knie, bettelte, duckte sich, als ob er Prügel erwartete. Das hatte ich eigentlich nicht vor. Spielen wollte ich nicht mit ihm. Ich wollte nur sehen, ob er als Knecht taugte und ihn lehren niemals wieder eine Zauberin zu bestehlen…
„Nun, ich könnte es gleich erledigen. Oder du unterwirfst dich bedingungslos.“ Er zitterte, war starr vor Angst in Erwartung der Strafe. „Kein Kommentar? Gut, immerhin scheinst du meine Ohren nicht quälen zu wollen so wie gestern.“ Ich ging wieder um ihn herum, ich wusste, dass es Menschen oft nervös machte, nicht zu sehen was ich tat. Als ob es dadurch besser würde… „Unterwerfung bedeutet, dass du zuerst eine wahre Höllenwoche erleben würdest. Und was danach kommt und wie lange es dauert, ist allein meine Entscheidung. Also: Tod oder Unterwerfung?“
Er bettelte und fing an zu weinen. Ich aber wollte, dass er sich selbst entschied, mit mir zu gehen. Ich konnte ihn schließlich auch in die Stadt bringen. Aber nachdem er diese Brandmale trug, würde er das vermutlich nicht wollen. Ich erinnerte mich an Renildis Spruch. Den Spruch, der Gehorsam erzwingt, indem er Ungehorsam sofort mit unnachgiebiger Härte bestrafte. „Du scheinst dich nicht entscheiden zu können. Dann machen wir es doch ganz einfach: Ich kann einen Zauber auf dich legen, der dafür sorgt, das du jeden Befehl ausführst. Wenn du mich darum bittest. Ansonsten schleife ich dich gefesselt an einem Strick zur Stadt. So wie du jetzt bist. Und ich werde mich dabei beeilen. Habe keine Lust, zu viel Zeit zu vergeuden, wegen eines Nichtsnutzes wie dir. Ach ja: Du solltest dich schnell entscheiden.“
Ich grinste, irgendwie bereitete mir die Situation doch Vergnügen. Ich mochte die meisten Männer nicht; schon gar keine, die mich bestehlen wollten. Wenn ich ihn tatsächlich bis zur Stadt schleifen würde, so beschloss ich, dann würde ich mir auch seine Verurteilung und die Vollstreckung ansehen. Ich war mir nicht sicher, wie sie in dieser Stadt Wiederholungstäter bestraften, hatte mich nie wirklich darum gekümmert. Er antwortete nicht, kniete immer noch da, bettelnd, stammelnd…
Ich ging zum Gepäck,legte die Gerte zur Seite und holte einen Strick. „Hände auf den Rücken.“ Langsam gehorchte er, fast so langsam wie er seine Kleidung abgestreift hatte. Dann endlich traf er wohl eine Entscheidung. Er drehte sich auf Knien zu mir, immer noch liefen Tränen über sein Gesicht. „Bitte Herrin, ich bitte euch, legt den Zauber auf mich, um meinen Gehorsam zu gewährleisten.“ Ich nickte, ließ den Strick einfach fallen. „Na bitte, ist doch nicht so schwer.“ Kurz rezitierte ich Renildis Spruch im Geiste, konzentrierte mich. Dann bewegte ich meine Finger, legte den Zauber auf ihn. Ich zog meinen Dolch, ritze kurz die Haut an meinen Daumen, bis Blut floss. Damit zeichnete ich ihn auf der Stirn, musste dazu seine langen Haare etwas zur Seite schieben. Es war mir unangenehm, ihn zu berühren, aber nur so würde der Spruch länger als ein paar Stunden halten.
Seinen gesenkten Kopf zog ich etwas zu mir hin, schon wieder hingen ihm seine Haare vorm Gesicht. Es war, als verstecke er sich hinter ihnen, wenn er den Kopf schon nicht mehr halten gesenkt konnte. Ich benetzte seine Lippen mit meinem Blut, lächelte, als er es aufleckte. Er hatte mein Blut in sich aufgenommen. Jetzt würde der Spruch halten, bis ich ihn aufheben würde. Sollte er gegen einen Befehl verstoßen, würde ich es sofort spüren, wie ein leisen entfernten Glockenschlag in meinen Gedanken. Und er würde Schmerzen haben, starke Schmerzen. Diese würden abklingen, wenn er sich entschloss, doch zu gehorchen. Aber die Schmerzen würden nicht ganz verschwinden, nur ich konnte dafür sorgen.
Ich ging zurück, nahm wieder die Gerte in der Hand. Ich würde ihn hoffentlich nicht noch einmal berühren müssen, bevor er gewaschen war. Aber erst musste ich erfahren, ob er als Knecht taugen würde. Wir hatten noch eine gehörige Strecke vor uns, er könnte sich um die Pferde kümmern – wenn er dazu in der Lage war. Ich rief ihn zu mir und fragte ihn danach. Doch anstatt einfach meine Frage zu beantworten, fing er mit einer Erzählung an. Mit einem Gertenhieb unterbrach ich ihn. Er zuckte zusammen und wich zurück. „Mich interessieren deine Geschichten nicht. Ist es so schwer eine einfache Frage zu beantworten?“ Langsam nickte er: „Ja Herrin, ich kenne mich mit Pferden aus.“
Ich war zufrieden, ich glaube, ich lächelte sogar, schickte ihn dann zum Bach. Er sollte sich waschen, es war dringend nötig. Und danach sollte er mein Pferd satteln, sich um das Gepäck und die beiden anderen Pferde kümmern. Er schien sehr erleichtert zu sein, sich zumindest etwas entfernen zu können. Mit seinen Lumpen und etwas Seife eilte er zum Bach. Ich kümmerte mich um mein Gepäck, holte ein Stück Brot aus dem Proviantbeutel für meinen Gefangenen. Und schon spürte ich diesen entfernten Glockenschlag in meinem Kopf. Ich grinste, er hatte wohl mehr getan als sich und seine Lumpen zu waschen. Hatte entweder getrödelt oder versucht, sich davon zu stehlen. So wie ich die Menschen kannte, wohl das zweite..
Es dauerte etwas, bevor er wieder auftauchte, sein nasses Haar klebte an seinem Kopf. Irgendwie amüsierte es mich. Er wusste was ich war, ich hatte ihm gesagt, was der Spruch bewirkt. Und trotzdem musste er es sofort testen. Menschen, besonders Männer, waren oft so. „Wie ich sehe, hast du schon entdeckt wie der Spruch wirkt. Solange du meine Befehle befolgst und dich an meine Regeln hältst, ist alles in Ordnung. Wenn nicht – nun, das weißt du jetzt. Und den Schmerz völlig beseitigen kann übrigens nur ich.“ Ich klopfte mit meiner Hand auf meinen Oberschenkel, rief ihn zu mir. Er kam näher, ging sofort auf die Knie. Er zögerte diesmal kaum. So berührte ich ihn, nahm den Schmerz von ihm.
Er blickte kurz auf – und mir blieb fast das Herz stehen. Das erste Mal konnte ich ihn ansehen, ohne das seine Haar das Gesicht verdeckten. Seine Augen, er hatte Tiemens Augen. Tiemen, der erste Mann, der einzige Mann, der mir jemals etwas bedeutet hatte. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, verbannte den Gedanken an ihn aus meinem Kopf. Während ich das versuchte, sah ich zu, wie der Gefangene das Packpferd belud. Während er mein Pferd sattelte, klopfte er ihm beruhigend auf der Kruppe, sprach mit ihm. Danach band er das dritte Pferd an dem Packsattel fest. Er kannte sich mit Pferden aus, ging ruhig und geschickt mit ihnen um. Ich war zufrieden, lächelte. Wenn er sich auch sonst so geschickt anstellte, konnte er vielleicht tatsächlich als Knecht nützlich sein. Ich warf ihm ein Stück Brot hin und stieg auf. „Verlier mich einfach nicht, sonst hast du ein Problem.“
Im Schritt ritt ich los. Ich wollte zwar endlich ankommen, aber es bestand kein Grund, den Gefangenen abzuhetzen. Ich hatte ihm zwar eine Höllenwoche versprochen, doch ich war am Überlegen, was ich daraus machen würde. Wenn ich ihn wirklich als Knecht behalten wollte, sollte ich ihn besser nicht völlig verschrecken. Er sollte für den Diebstahl bestraft werden, angemessen hart ohne ungerecht zu sein. In der Stadt hätte er wohl sogar ein Todesurteil bekommen, aber auch möglich, dass sie ihm nur den Sattel anlasten würden und ihm einfach eine Hand abhackten. Beides keine Option für mich. Ich beschloss, ihn einfach abends zu peitschen, nur ein Dutzend Hiebe, und des Nachts anzuketten wie einen Hund. Das könnte vielleicht reichen, das Wort Höllenwoche sollte schließlich doch halbwegs berechtigt sein…
Ich dachte an Tiemen, bekam ihn einfach nicht aus meinen Kopf. Er hatte mich viele Jahre begleitet, mich glücklich gemacht. Ich vermisste ihn jeden einzelnen Tag, obwohl sein Tod schon so lange her war. Viel zu früh war er mir entrissen worden…
Durch die Grübeleien war ich noch schweigsamer als sonst. Aber ich achtete bei jeder Rast darauf, dass der Gefangene ausreichend trank und auch genug zu Essen bekam. Proviant hatte ich reichlich, und so mager wie er war, konnte er es bestimmt brauchen. So gab ich ihm auch mehr als genug von der Wurst und etwas Käse aus der Hand. Fetter guter Käse, damit er etwas Fleisch auf die Knochen bekam. Das gute Essen sorgte obendrein dafür, dass er sich langsam entspannte. Das war mir wesentlich angenehmer. Wenn jemand verkrampft neben mir saß, konnte ich kaum Ruhe finden. Obendrein kümmerte er sich bei jeder Rast um die Pferde, ohne dass es eines zusätzlichen Befehls bedurfte. Er versuchte mich gnädig zu stimmen, indem er sich jetzt schon wie ein Diener verhielt.
Ich überlegte, ob ich ihn nicht doch nach seinen Namen fragen sollte. Oder ihm einen geben sollte, auf vielen Höfen trug der Knecht immer den gleichen Namen. Kam ein neuer, wurde er nicht gefragt, ob ihm der Name gefiel: Er hieß trotzdem so wie sein Vorgänger und der davor. Es soll Höfe geben, wo der Knecht schon über hundert Jahren immer den gleichen Namen getragen hatte. Ich hatte das bisher nicht gemacht, in Städten war so etwas weniger üblich.
Wir kamen gut voran, nur unwesentlich langsamer, als ich allein es gewesen wäre. Ich war zufrieden, freute mich auf meine Rückkehr zum Turm. Der war mir vor einiger Zeit in die Hände gefallen, gehörte einem jetzt verstorbenen Zauberer. Seine gesamten Bücher und ein ungewöhnliches Labor hatte er dort. Ich war immer noch nicht damit fertig, alles zu studieren. Und da er ein Schwarzkünstler gewesen war, hielt ich das Labor auch gut verschlossen, hatte Kora verboten es jemals zu betreten. Aber jetzt war es seit ein paar Wochen mein Heim, war das jetzt schon mehr als das Haus, dass ich gerade verkauft hatte. Und Kora hatte es bestimmt schon fertig eingerichtet, bei meiner Abreise eine Woche vorher war es schon fast so weit gewesen.
Gegen Abend hielt ich Ausschau nach einem Rastplatz, fand einen verlassenen Hof. Das Dach des Hauses schien jedenfalls noch dicht zu sein. Der Stall sah zwar nicht ganz so gut aus, aber für eine Nacht sollte es ausreichen. Während der zukünftige Knecht sich um die Pferde kümmerte, zog ich, wie gewöhnlich, einen Alarmkreis um den Hof. Es wurde langsam frisch, so ging ich hinein, nahm aber meine Gerte mit. Sonst hatte ich sie immer bei den Pferden gelassen. Ich setzte mich an den brennenden Kamin, schaute in die Flammen. Langsam wanderten meine Gedanken wieder zurück zu Tiemen, ich schloss die Augen.
Plötzlich hörte ich ein Keuchen, ein unverkennbares Stöhnen. ‚Wie kann er es wagen…‘ dachte ich. Ich griff zu meiner Gerte, stand leise auf. Er hatte mir den Rücken zugedreht, und es war eindeutig was er gerade machte. Ich stürzte mich geradezu auf ihn, ließ meine Gerte auf ihm landen, immer wieder. Er versuchte weiter unter seine Decke zu krabbeln, wütend riss ich sie weg und schlug weiter zu. Allmählich geriet ich außer Atem, versuchte mich zu beruhigen – was mir nicht gelang.
Immer noch wütend, hörte ich trotzdem auf ihn zu prügeln. Ich ließ ihn aufstehen, Angst stand in seinem Gesicht. Mir schossen Bilder von Tiemen durch den Kopf, wie ich ihn geschlagen hatte. Und wie er es damals genossen hatte. Der hier genoss es im Moment nicht, aber das war mir beinahe gleichgültig. Er hatte damit angefangen und er sollte es jetzt zu Ende bringen. „Scheinbar bist du nicht in der Lage, dich anständig zu benehmen, weißt nicht, was sich gehört. Mal sehen, ob ich dir das Vergnügen daran nicht austreiben kann. Du wirst jetzt wichsen, bis du fast kommst. Und dann hörst du auf. Wenn du kommst, ist das ein Regelverstoß. Und du weißt. welche Schmerzen dir dann blühen. Und ich habe nicht vor, sie gleich wieder zu beenden.“ Ich grinste ihn an, er hatte es nicht anders gewollt. Aber es war mir nicht genug, so einfach wollte ich ihn nicht davon kommen lassen. „Das wirst du jeden Abend tun. Wirklich jeden Abend, bevor du dich schlafen legst.“
Plötzlich wurde mir bewusst, dass er sich soeben seine Höllenwoche ausgesucht hatte. Ich musste lachen, er hätte es einfacher haben können. Aber so würde dies die restliche Woche prägen: „Ich schätze, ich habe soeben die ersten Regeln für dich aufgestellt. Ich sagte ja schon, dass du dafür sorgen musst, mich nicht zu verlieren. Die erste Regel ist also, dort zu sein, wo ich dich hin schicke. Derzeit ist das in meiner Nähe. Die zweite Regel: Jeden Abend zu wichsen. Und die dritte: Nicht ohne meine Erlaubnis zu kommen. Und glaube nicht, das ich vorhabe, es dir so schnell zu erlauben. Mal sehen, ob dich das lehrt, dich etwas besser im Zaum zu halten.“
Er bewegte sich nicht, machte keinerlei Anstalten zu gehorchen. Ich musterte ihn, langsam wurde ich ungeduldig: „Fang an.“ Er schaute mich erschrocken an, als der Schmerz über ihn wogte, sackte er auf die Knie. Zitternd wurde ihm klar, dass er keine andere Möglichkeit hatte. Langsam wanderte seine Hand in die Hose. Mit gesenkten Kopf kniete er jetzt vor mir, ich konnte durch den Stoff seiner Hose sehen, wie sich die Hand bewegte. Es dauerte lange bis er wieder anfing zu stöhnen. Mir wurde warm, als ich es hörte, seine Erregung sah. Als er aufhörte, kauerte er zitternd vor mir, bewegte sich nicht mehr. Ich jagte ihn hinaus; konnte und wollte ihn jetzt nicht brauchen.
Kaum war er draußen, legte ich mich wieder hin, mir war warm – wie erregt er gewesen war, sein Keuchen, als er fast zur Erlösung gekommen war und abgebrochen hatte. Nicht freiwillig, sondern weil er es musste. Ich war mir sicher: In dem Moment hätte er lieber weitergemacht, egal ob ich es sah oder nicht. Ich lächelte, meine Hand wanderte über meinen Körper. Wie sehr vermisste ich jetzt Tiemen, jetzt noch mehr als sonst. Seine Zunge auf meiner Haut, in meinem Schritt. Er war ein Künstler mit seiner Zunge gewesen. Meine Hand im Schritt würde ihn nie ersetzen können. Als ich mein Gier gestillt hatte, glitt ich in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Morgen wurde ich früh wach. Das Kaminfeuer war vollständig herunter gebrannt. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich dem Gefangenen gestern den Restschmerz nicht genommen hatte. Ich grinste, das geschah ihm recht. Ich war mir jetzt sicher: Ich würde ihn nicht nach seinen Namen fragen. Aber so schnell würde ich ihm auch keinen neuen geben, zumindest keinen richtigen.
Ich stand auf, streckte mich und ging hinaus. Er stand bei der Stalltür, ich klopfte mit meiner Hand gegen das Bein, so als ob ich einen Hund rief. Doch er verstand es, kniete kurz darauf vor mir. Ich wartete einen Moment, fragte ihn dann „Die Pferde schon versorgt?“ „Ja Herrin.“ „Ich nehme Tee zum Frühstück.“ „Wie ihr wünscht Herrin.“ Ich ging nach den Pferden sehen. Aus meinen Gepäck nahm ich die Seife und ging hinaus. Ich hatte draußen einen Brunnen gesehen, ging mich waschen. Ich seufzte, wie sehr freute ich mich auf ein warmes Bad.
Dann ging ich zurück in das Haus zu meinem Lager. Als ich den Raum betrat, roch ich schon den Tee. Alles war aufgeräumt, ein Frühstück wartete auf mich. Ich lächelte, nickte zufrieden und setzte mich hin, aß in aller Ruhe. Ich überlegte; ich musste mir sicher sein, dass mich seine Augen nicht getäuscht hatten. Er hatte Tiemens Augen, aber ich musste herausfinden, ob er auch die gleichen Vorlieben hatte. In seine Gedanken eindringen wollte ich aber nicht.
Viele Menschen glauben immer, dass Gedankenlesen für Zauberer einfach sei. Einfach hineinschauen oder hineinhören, und schon wären die Gedanken klar verständlich wie das gesprochene Wort. Aber so war es nicht. Kein Mensch hat so klar geordnete Gedanken. Stattdessen ist es ein Wust von Erinnerungen, Wörtern manchmal, oft eher Bilder und Düfte. Und die Bilder sind nicht bei allen gleich. Es sind oft Assoziationen, und damit ein einziges Durcheinander. Und niemand weiß vorher, was in einem Kopf zu sehen ist. Manchmal sind es sehr schlimme Erinnerungen, aber auch wenn nicht: Die Struktur ist bei jedem Menschen anders.
So ist es eine Kunst, die gewünschte Information zu finden. Und wenn derjenige völlig anders denkt, kann es beim Zauberer sogar zu körperlichen Beschwerden kommen. Übelkeit ist noch das harmloseste. Das ist oft der tatsächliche Grund, warum es Zauberer so selten tun. Ein Spruch, um Lüge zu erkennen, ist viel einfacher. Allerdings hilft das wiederum nur, wenn das Gegenüber bewusst lügt. Irrt er sich oder täuscht er sich, dann lügt er nicht. Und die Erinnerungen eines Menschen sind so zuverlässig nicht. Da erinnerte ich mich an Tiemen, sein Tagebuch hatte mir immer seine Gedanken offenbart. Ich musste bei dem Gedanken an ihn lächeln, kehrte dann aber wieder ins hier und jetzt zurück.
Ich spürte den Blick meines Gefangenen auf mir. Ich nahm ein Stück Brot, warf es zu ihm; trockenes Brot, nichts dazu diesmal. Das musste er sich erst wieder verdienen. Er schlang sein Brot herunter, beobachtete mich zitternd aus den Augenwinkeln. Ich kostete von dem Tee, war damit zufrieden. „Kannst du lesen und schreiben?“ „Ja Herrin.“ Gut, dass bedeutete immerhin, dass er ein Tagebuch führen konnte. Dies wäre schon einmal geklärt. Mir fiel wieder ein, dass er noch den Restschmerz trug. Ich musterte ihn, woraufhin er sich noch kleiner machte. „Hast Du noch etwas zu sagen?“ „Herrin?“ Er zögerte kurz, fuhr dann fort. „Ich bitte um Verzeihung, Herrin. Ich wollte nicht respektlos sein.“ Ich rief ihn wieder mit dem Klopfen meiner flachen Hand. Augenblicklich kam er zu mir, tief auf die Knie. Ich beugte mich etwas nach vorne, berührte seine Stirn, nahm den Schmerz von ihm. Er atmete tief durch und dankte mir. Ich nickte zufrieden.
„Du solltest lernen, wo deine Platz ist. Gestern hast du bewiesen, das du es nicht weißt, dich ungebührlich benommen. Also werde ich etwas strenger sein müssen.“ Einen Moment wartete ich, wollte, das er mir aufmerksam zuhörte. „Du trägst keinen Namen mehr, bis ich dir einen gebe. Wenn Du gefragt wirst: Du bist ein Spielzeug deiner Herrin Lucia.“ Er nickte zitternd, bestätigte, dass er verstanden hatte: „Ja Herrin.“
Ich stand auf, wollte langsam weiter. So ließ ich ihn alles zusammen packen und ritt los. Diesmal nahm ich keine Rücksicht auf ihn, trieb die Pferde zu einen etwas höherem Tempo an. Er kam noch gut mit, aber ich war mir sicher, dass es nicht so bleiben würde: Der Tag war noch jung…
Am späten Vormittag entschloss ich mich, ihn noch etwas zu triezen. Obwohl das Gelände hier hügelig war, wurde ich noch etwas schneller. Er fing an zu laufen, hielt es aber nicht lange durch. Kaum wurde der Abstand größer stoppte ich. Ich ließ den Führstrick vom Packpferd los, wendete und ritt direkt auf ihn zu. Er ging auf die Knie. Ich grinste; jetzt war die Gelegenheit zu testen, ob er Nesseln genauso mochte wie Tiemen früher. Ich blickte mich um, sah auch welche. So holte ich mir eine, war zufrieden, bereits Handschuhe zu tragen. Als ich auf ihn zuging, hielt ich die Nessel hinter meinen Rücken. Er würde noch früh genug merken, was ich vorhatte…
Ich ließ ihn aufstehen, stopfte ihn dann die Nessel in die Hose. Er beugte sich vor, versuchte seinen Unterleib vor mir in Sicherheit zu bringen. Was ihm prompt eine Ohrfeige einbrachte. Einen Gertenhieb hätte ich bevorzugt, aber die hing an meinem Sattel. „Steh still“ schnauzte ich ihn an. Er versuchte zitternd zu gehorchen. So rückte ich die Nessel von außen etwas zurecht, massierte sie etwas ein. Er zitterte, hatte große Schwierigkeiten still zu stehen. Ich grinste, mir gefiel seine Reaktion. „Vielleicht bringt dich das etwas auf Trab.“ Ich musterte ihn schmunzelnd. „Das sollte helfen.“
Ich ritt zu den beiden anderen Pferden, nahm wieder den Führstrick und ritt im gleichen Tempo weiter. Diesmal bemühte er sich mehr mitzukommen. Ich hielt Ausschau nach einem Rastplatz, die Pferde brauchten eine Pause, und mein neues Spielzeug sowieso. Am nächsten Bach hielt ich an, ließ mein Spielzeug Tee für mich bereiten. Ich nahm eine Wachstafel aus meinem Gepäck, fing an mir Gedanken zu machen, wie ich seine Höllenwoche gestalten würde. Er sammelte währenddessen etwas Feuerholz.
Ich schrieb als erstes das Wort ‚Tagebuch‘ auf. Das war wichtig. Auch wenn ich es wohl nicht an erster Stelle nennen würde. Dann hatte ich ihm ja schon eine Regel gegeben: seine ‚abendliche Übung‘. Ich grinste bei dem Namen der Übung. Klang so harmlos, aber ich war mir sicher, dass es das für ihn nicht war. Aber es war genau das passende für seine Verfehlung. Ich verspürte immer noch Wut, wenn ich daran dachte. Er hatte gewusst, was ich war, und selbst wenn nicht, wäre es mehr als nur unschicklich gewesen: Es war beleidigend.
Mir fiel Tiemens altes Geschirr ein. Wir nannten es jedenfalls Geschirr. Es war eigentlich ein Stück Leder, geformt wie ein kleiner Kragen; Leder in der Form eines Dreiviertel-Kreis mit einem Loch in der Mitte. Und das ganze verschließbar. Dieses Geschirr wurde im Schritt am Gemächt – direkt oberhalb der Juwelen eines Mannes – befestigt. Und mit zusätzlichen Riemen oder Schnüren konnten noch weitere Gewichte daran befestigt werden oder auch eine Leine. Eine Leine für mein Spielzeug fand ich eine wundervolle Idee.
Ich schaute zu ihm hinüber, wie er das Holz stapelte. Trotz – oder vielleicht auch wegen – meiner Wut war ich in Spiellaune, so entzündete ich das Feuerholz mit einem kleinen Spruch, kaum das es fertig aufgeschichtet war. Er zuckte etwas zusammen, ich tat als ob ich es nicht bemerkte und sah wieder auf meine Tafel. Er war etwas abgemagert, also sollte ich ihn besser auch schwere Arbeiten machen lassen…
Da mittlerweile Lager und Tee fertig waren, ging ich ans Feuer und fing an zu Essen. Wieder warf ich ihm trockenes Brot hin. Selbst wenn ich den restlichen Weg trödeln würde, es war nicht mehr weit und an diesem Tag leicht zu schaffen. Lächelnd sah ich ins Feuer. „Heute bin ich endlich wieder zu Hause.“ Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich es laut gesagt hatte. Ich sah ihn an, deutete auf den Bach: „Du kannst dich waschen, wenn du willst.“ Die Nesseln waren mittlerweile bestimmt nicht mehr so schlimm. Aber allein die Vorstellung, noch etwas davon in der Hose zu haben, musste unangenehm sein. Ich musste schmunzeln. „Ich nehme mal an, das du willst.“ Er dankte mir hastig, eilte zu dem Wasser. Er zog rasch die Hose aus und ließ sich einfach ins kalte Wasser fallen.
Ich sah grinsend zu ihm hinüber, während ich noch etwas auf die Tafel dazu schrieb: ‚Nachtruhe‘. Eigentlich wollte ich ihn ja zuerst anketten, aber das bedeutete auch, dass seine Fesseln gelöst werden mussten, bevor er arbeiten konnte. Daher fand ich es besser, wenn er einfach einen festen Platz dafür hatte. Schlafen konnte er auf dem Heuboden. Wenn es dunkel ist; und nur wenn es dunkel ist. Und im Sommer war es nicht so lange dunkel.
Nun denn: Mit den Pferden konnte er umgehen, dass würde seine erste Aufgabe werden. ‚Pferde & Hühner‘ schrieb ich dazu. So mager wie er war, sollte er außerdem ausreichend essen: ‚Verpflegung‘ also. Dazu gehörten auch ‚Pausen‘, fünf sollten pro Tag reichen.Und damit er den Ernst erfasst, sollte er für Unterbrechungen eine Sonderregelung erhalten. Welche, wusste ich nur noch nicht…
Ich stand auf, befahl ihm, die Pferde wieder zu satteln. Langsam wollte ich weiter. Ich nahm noch einmal kurz die Wachstafel zur Hand, änderte die Reihenfolge der Notizen: die nächtliche Übung und das Tagebuch packte ich nach unten. Kaum war alles wieder eingepackt, ritt ich los. Diesmal hielt ich mich mit dem Tempo etwas zurück. Lang nicht so ruhig wie gestern, aber er hatte inzwischen wohl begriffen, dass er mir folgen musste – egal wie. Ich grübelte über seine Arbeit nach. Er sollte etwas kräftiger werden. Holzhacken und Feldarbeit würde dabei helfen. Aber Holz brauchten wir jetzt im Sommer nicht so viel, und es gab keine Felder zu bestellen.
Da kam mir eine Idee: Graben könnte das richtige sein. Vor dem Hof waren genügend brachliegende Felder. Dort konnte er eine Grube graben. Und wenn er damit fertig war, daneben noch eine. Bestimmt keine sehr sinnvolle Tätigkeit, aber sie würde zusammen mit gutem Essen seine Muskeln kräftigen. Da schoss mir noch ein Gedanke durch den Kopf. Er hatte sich nicht beherrschen können, das wollte ich ihm austreiben. Er würde nur zu den Pausen ungestraft seine Arbeit unterbrechen dürfen; egal wozu. Und wenn er mehr als genug trinkt, könnte das durchaus noch etwas seine Selbstbeherrschung schulen. Das passt dann zum Thema Verpflegung. Ich grinste, so langsam nahm der Plan für seine neue Regeln der Höllenwoche Gestalt an.
Als ich in den kleinen Waldweg Richtung Turm abbog, wurde ich etwas langsamer. Hier waren die Bäume niedriger und ich hatte keine Lust, Zweige in mein Gesicht zu bekommen. Mein neues Heim war immer noch durch einen zweifachen Zauber seines Erbauers geschützt. Die Leute bemerkten diesen Waldweg einfach nicht. Niemand kam daher zu Besuch, keine ungebetenen Gäste. Und mein Heim selbst mitsamt der direkten Umgebung war zudem vor magischen Blicken geschützt.
Am Waldrand hielt ich an. Mir gefiel der Blick von hier jedes Mal wieder. Der Zauberer mag ein Schwarzkünstler gewesen sein: Geschmack hatte er. Es war ein alter Dreiseitenhof gewesen; ein Wohnhaus, eine Stall mit Koppel und eine Scheune, daneben ein Schuppen. Der gesamte Hof war mit einer Mauer aus Felsstein geschützt. Am Hoftor wuchs ein großer Walnussbaum. Ein Bach floss an dem Hof vorbei, so breit, dass er auch im Winter nicht ganz zufror. Direkt bei dem Bach war ein kleiner Fischteich. Zusätzlich war zwischen Scheune und Wohnhaus ein Brunnen.
Mein Vorgänger hatte das Wohnhaus zerstört und an seiner Stelle einen vierstöckigen Turm errichtet. Rund aus massivem Stein gebaut, sieben Schritt an seiner breitesten Stelle. Die Fenster in der ebenerdigen Küche waren relativ klein, alle anderen waren deutlich großzügiger. In der Küche und dem Keller waren die Wände wie üblich verputzt. Aber überall anders, sogar im Treppenhaus, waren die Wände holzvertäfelt. Der Erbauer hatte offensichtlich den Luxus geliebt. Direkt im ersten Stock war der wichtigste Raum: die Bibliothek. Sie nahm das gesamte Stockwerk ein, mit einen gemütlichen Kamin zwischen den Fenstern und trotzdem noch einem zusätzlichen Kachelofen. Er musste eine wahre Frostbeule gewesen sein. Dies war im Schlafzimmer ein Stockwerk darüber auch zu spüren: der Raum hatte ebenfalls einen Kamin und einen kleinen Kachelofen. Nebenan ein Badezimmer und im dritten Stock sein Labor. Daneben hatte jetzt Kora ihr Zimmer. Darüber war nur noch der Dachboden…
Ich lächelte und trabte los, wollte das letzte Stück rasch hinter mich bringen. Wie immer machten die Hühner einen ziemlichen Krach, als sie zur Seite stoben und Hasso, Koras Hund, bellte aufgeregt. Kora kam aus der Küche, strahlte mich an. Ich ließ mich vom Pferd gleiten und umarmte sie.
Kora, treue Seele, Dienerin und Vertraute. Sie war alles in einem. Seit zwanzig Jahren war sie jetzt bei mir, war in der Zeit von einem ängstlichen Mädchen zu einer kräftigen Frau geworden. Sie konnte über die Haushaltskasse frei verfügen, diese war auch immer gut genug gefüllt um ihr auch vernünftige Kleidung zu kaufen. Mein neues Spielzeug war inzwischen auch angekommen, ziemlich außer Atem. Ich schaute zu ihm hinüber, deutete dann auf Kora: „Das ist Kora. Was sie sagt, ist genauso ein Befehl, als ob ich es selbst gesagt hätte.“ Er nickte „Ja Herrin.“ Kurz begrüßte ich noch Hasso. Sagte dann dem Spielzeug, das es warten solle und ging mit Kora hinein.
Ich war mir nicht ganz sicher, wie ich es Kora erklären sollte, darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Sie war mir verbunden, seitdem ich sie von ihrem Onkel mitgenommen hatte. Vor allem, weil ihr Onkel damals nicht gut zu ihr gewesen war. Und mir war es wichtig, dass sie es akzeptierte. Ihre Freundschaft, ihre Loyalität – all das wollte ich nicht verlieren. Sie war mir zu wichtig, als das ich das riskieren wollte. So wollte ich zumindest versuchen es ihr zu erklären. Daher suchte ich nach den richtigen Worten. „Kora, das da draußen ist ein Gefangener. Er hat versucht, mich zu bestehlen, wollte aber partout nicht in die Stadt gebracht werden. Ich denke, es hat mit den Brandmalen auf seinen Händen zu tun. Die beweisen, dass er schon einmal bei einem Diebstahl erwischt wurde. Ich habe ihm jedenfalls als Strafe eine Höllenwoche versprochen. Und das hat er akzeptiert. Bringst du ihm etwas Brot und Wasser?“
Kora nickte, packte Brot in einen Korb, legte einen Krug dazu. „Wer weiß, vielleicht hätten sie ihn in der Stadt sogar hingerichtet.“ Ich stimmte ihr zu. „Ich wollte ihn eigentlich nur Auspeitschen und ansonsten schauen, ob er als Knecht taugt. Allerdings hatte er offensichtlich seine eigenen Ansichten dazu. Jedenfalls hat er es gewagt, sich neben mir liegend selbst anzufassen, um seine Gier an meinem Anblick zu stillen. Und das werde ich ihm nicht durchgehen lassen.“ Kora sah mich entsetzt an. „Er hat was? Vor euren Augen..?“ Ich nickte. „Er dachte wohl, dass ich schlafe, was es nicht wirklich besser macht.“
Ich atmete kurz durch. „Ich will noch kurz etwas vorbereiten, denn seine Höllenwoche wird jetzt deutlich anders ausfallen als ursprünglich geplant. Jetzt werde ich ihm zeigen, was es heißt, eine Zauberin zu beleidigen und wie ein Objekt zu behandeln. Ich hab einen Zauber auf ihn gelegt, der jeden Ungehorsam mit Schmerz bestraft. Der Schmerz vergeht teilweise, wenn er dann doch gehorcht. Aber bei jeden Verstoß bleibt ein stärkerer Schmerz übrig. Dieser verbleibende Schmerz kann nur von mir beseitigt werden.“ Kora blickte mich an „Solche Sprüche kennt ihr?“ „Vor langer Zeit in einem anderen Land hab ich so etwas gelernt. Aber es ist schon sehr lange her. Ich werde ihm jedenfalls eine andere Art Höllenwoche bereiten, eine, die er noch nicht erlebt hat. Und ich möchte dich bitten, dich da nicht einzumischen. Jedenfalls nicht vor ihm.“ Sie sah mich an, nickte wieder. „Das sollte kein Problem sein, Lucia.“ Ich lächelte fast erleichtert, war mir aber trotzdem nicht so ganz sicher. Kora hatte diese Seite von mir noch nie gesehen. Sie wusste nicht, wie ich Spielzeug behandelte.